Co-Abhängigkeit: Wenn Symbiose zerstörerisch wird

Daniela Danis ist Psychotherapeutin und arbeitete über zwanzig Jahre lang in der Klinik La Métairie in Nyon. Sie ist Autorin des Buches «Au cœur de la codépendance».

Frau Danis, Sie sprechen vom Phänomen der Symbiose. Wie kommt es dazu?

Manchmal entsteht sie zu Beginn der Beziehung, manchmal erst, wenn sich die Abhängigkeit entwickelt. In dieser Symbiose verlässt sich der Süchtige auf den Co-Abhängigen und sucht keine Hilfe ausserhalb der Beziehung. Das ist eine Falle! Manche symbiotischen Beziehungen sind unproblematisch: Die Menschen sind sehr eng miteinander verbunden und machen alles gemeinsam. Der Unterschied in diesen Fällen ist jedoch, dass die Suchterkrankung nicht im Zentrum der Beziehung steht. Bei einer Suchterkrankung mischen sich die Angehörigen ein, ohne es zu merken, und hindern den anderen daran, Hilfe zu suchen. Nach und nach stellen sich bei den Angehörigen Schuld- und Schamgefühle ein; sie sagen sich: «Ich bin nicht gut genug, ich bin eine schlechte Ehefrau, ein schlechter Vater, mein Angehöriger konsumiert wegen mir».

Und sie fühlen sich ausgebrannt.

Ja, aber das ist gut so! Wenn Menschen erschöpft sind, achten sie mehr auf ihre Grenzen und auf das, was ihnen wirklich wichtig ist. Sobald sie wieder Energie haben, funktionieren sie wie gewohnt und fühlen sich allmächtig. Es ist aber wichtig, dass sie dem anderen den Raum geben, damit dieser den Tiefpunkt erreicht.

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Wie sollen wir also reagieren, wenn uns jemand sagt, dass er als Angehöriger erschöpft ist?

Anstatt sein Allmachtsgefühl zu stärken, kann man ihm Fragen stellen wie «Warum kannst du nicht mehr? Hat das, was du bisher unternommen hast, etwas gebracht? Welche Alternativen gibt es?» Die Person muss erkennen, dass ihre Bemühungen und Opfer zu nichts führen. Solange die Person «kann», verstärkt sich die symbiotische Situation.

Sie vergleichen die Mechanismen der Abhängigkeit mit denen der Kontrolle. Warum?

Während auf der einen Seite der Alkohol die Obsession ist, besteht auf der Seite des Abhängigen die Obsession darin, die Kontrolle über den abhängigen Angehörigen zu behalten. Warum? Um zu überleben und um jeden Preis ein Chaos zu vermeiden. Das Schlimme ist, dass Sucht eine Krankheit ist, die sehr gut behandelt werden kann! Man muss also nicht unter den Folgen leiden. Man kann einen Ausweg finden, aber man muss die Mittel dazu kennen und annehmen, zum Beispiel Gesprächsgruppen oder Treffen mit sogenannten Peers, die selbst einmal alkoholabhängig waren.

Für die Angehörigen ist die einzige Strategie, die funktioniert, Grenzen zu setzen. Liebe ja, aber eine Liebe, die fest ist. Wie erleben Angehörige den Klinikaufenthalt einer alkoholkranken Person?

Für die Angehörigen ist der Klinikaufenthalt eine Auszeit, die als grosse Erleichterung empfunden wird. Als ich in der Klinik La Métairie arbeitete, traf ich manchmal die Kinder der Patienten. Die meisten Eltern erzählten ihren Kindern jedoch nicht, warum sie in die Klinik eingeliefert wurden. Um sie zu schützen, erzählten einige, sie seien in den Urlaub gefahren. Denjenigen, die die Wahrheit sagten, ging es aber am besten. Die anderen hatten ständig Angst, Bekannten in den umliegenden Geschäften oder Cafés zu begegnen, und waren in ihrer Lüge gefangen.

Quelle: Blaues Kreuz 2/2024

Aus: Exister No 31 (August 2023). Das Interview führte Laetitia Gern, Verantwortliche für Kommunikation und Fundraising beim Croix Bleue romande. Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Croix-Bleue romande.