Berühmte Nichttrinker: Stephen King

Er gilt als der ungekrönte König der Horrorgeschichten. Seine Bücher wurden über 400 Millionen Mal verkauft und in über fünfzig Sprachen übersetzt. Stephen King weiss, was es heisst, Erfolge zu feiern. Auch gegen die Alkoholsucht: Seit über drei Jahrzehnten trinkt er nicht mehr.

Stephen King wurde am 21. September 1947 im amerikanischen Portland, Maine, gebo­ren. Seine Eltern, Nellie Ruth Pillsbury und Donald Edwin King, hatten zwei Jahre vor seiner Geburt einen Jungen adoptiert. Als Stephen King zwei Jahre alt war, ging sein Vater angeblich Zigaretten kaufen und kehrte nie mehr nach Hause zurück. Stephen wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Seine Mutter hielt die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser. «Wir mussten ständig umziehen, und die Wohnung lag meist in einer mieseren Gegend als jene zuvor», sagt Stephen King.

Schon als Kind kam King mit dem Schrecken in Berührung. Auf dem Dachboden seiner Grosseltern stiess er eines Tages auf halb verweste Hühner: seine erste Begeg­nung mit dem Tod, der in vielen seiner Ge­schichten eine wichtige Rolle spielt. Trauma­tisch war für King, dass er miterleben musste, wie ein enger Freund von ihm unter den Zug kam und starb. Beim Tod seiner Grossmutter war er anwesend. Wahrscheinlich hatten die­se Erlebnisse einen Einfluss auf sein Schaffen. Aber auch sein Interesse an düsteren Fantasy- und Science-Fiction-Filmen, die der junge King sich gerne ansah, beeinflusste die Rich­tung, in die er sich als Schriftsteller bewegen sollte, vor allem eine Sammlung von Horror- und Zukunftsromanen, die seinem Vater ge­hört hatte und die der Junge eines Tages zu­hause fand. Die Bücher inspirierten King und waren für ihn «wie eine Offenbarung».

Im Jahr 1962 kam Stephen King ins Gym­nasium. Nach erfolgreichem Abschluss stu­dierte er von 1966 bis 1970 Englisch an der Universität von Maine. Dort lernte er Tabitha Spruce kennen, die er ein Jahr nach seinem Studium heiratete. Die beiden leben bis heute als Ehepaar zusammen. Sie haben zwei Söh­ne, Joseph King, geboren 1972, und Owen Philip King mit Jahrgang 1977.

Der steinige Weg zum Erfolg

Stephen King begann im Alter von sieben Jahren, Geschichten zu schreiben. Zuerst wa­ren es märchenartige Tiergeschichten, die seiner Mutter gefielen. Im Alter von 19 Jahren konnte er seine erste Geschichte, «I Was A Teenage Grave Robber», im Magazin Comic Review veröffentlichen. Während seiner Zeit am Gymnasium schrieb er regelmässig. Er veröffentlichte mehrere Geschichten sowie die Novellensammlung «People, Places and Things» und schliesslich, im letzten Schuljahr, seinen ersten Roman «Amok».

In den ersten Jahren nach dem Studium arbeitete Stephen King als Englischlehrer in der Stadt Hampden in Maine. Da sein Gehalt kaum ausreichte, um die Familie zu ernähren, arbeitete King nachts in einer Wäscherei als Bügler. Dennoch fand er zwischendurch Zeit, um Geschichten zu schreiben. «Ich war ziem­lich fertig. Und ich fragte mich manchmal, ob dieser Job jetzt mein Leben sei. Andererseits hatte ich meine Geschichten, an denen ich nachts schrieb. Ich hatte meine Frau und zwei Kinder.» Hin und wieder konnte King eine Geschichte an eine Zeitung verkaufen. Da er aber über sechzig Absagen für seine Texte er­halten hatte, zweifelte er, der als Kind mit Unsicherheit zu kämpfen hatte, an seinem Schreibtalent. In den frühen 1970er Jahren fing King mit dem Roman «Carrie» an. Als er damit nicht weiterkam, verlor er den Mut und warf das unvollendete Manuskript in den Papierkorb. Seine Frau fand es dort; sie war von der Qualität des Textes überzeugt und überredete King, weiterzuschreiben. 1973 nahm der Doubleday-Verlag den Roman an, in welchem es um ein Mädchen geht, das sei­ne übernatürlichen Kräfte für zerstörerische Racheakte an ihrer Mutter und ihren Schulka­meraden einsetzt. Mit dem Roman wurde Stephen King über Nacht bekannt. Die New American Library kaufte die Taschenbuch­rechte an «Carrie» für satte 400 000 Dollar. Spätestens seit der Verfilmung des Romans Ende 1976, die Massen in die Kinos lockte, war King weltberühmt.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere

Als nunmehr reicher Mann gab King seine Tätigkeit als Englischlehrer auf und wid-mete sich ausschliesslich dem Schreiben. 1977 erschien «The Shining», der es als erster seiner Romane auf die Bestsellerliste schaff­te. Ein weiterer Roman, der grossen Erfolg hatte und verfilmt wurde, ist «Brennen muss Salem» (1979). In den darauffolgenden Jah­ren veröffentlichte King seine frühen Werke in überarbeiteter Form unter dem Pseudo­nym Richard Bachman. Die Bücher verkauf­ten sich gut. Als sich aber herausstellte, dass Stephen King hinter den Werken steckte, explodierten die Verkaufszahlen.

Seit den 1980er Jahren gewann Stephen King zahlreiche Preise für seine Werke, dar­unter mehrere Fantasy Awards. Im Jahr 2003 erhielt er den National Book Award für sein Lebenswerk. Der Autor schreibt auch heute noch erfolgreiche Bücher – erst kürzlich ist seine Kurzromansammlung «Blutige Nach­richten» erschienen. Sein Einkommen wird auf rund 45 Millionen Dollar pro Jahr ge­schätzt. King freut sich über seinen Erfolg; möglicherweise erstaunt er ihn auch. Er sagt: «Wissen Sie, ich denke mir all dieses kranke Zeug aus, lasse es raus, gebe es euch und ihr bezahlt mich dafür. Das klappt ganz gut! Ich glaube, ich werde noch ein paar Jahre so weitermachen. Bis ich 130 bin! Denn ehrlich gesagt wüsste ich nicht, was ich sonst tun sollte.»

Schriftsteller und mehr

Neben seiner Karriere als Schriftsteller hielt Stephen King mehrere Literaturvorlesungen an der Universität von Maine. Und er war und ist auch als Musiker aktiv: als Gitarrist in der 1992 gegründeten Band «Rock Bottom Remainders». Die Band besteht ausschliess­lich aus Schriftstellern; einer davon ist Matt Groenig, der Zeichner der beliebten Fernseh­reihe «The Simpsons». King sieht der Verfil­mung seiner Werke nicht nur zu; er liess es sich auch nicht nehmen, in vielen dieser Filme eine Nebenrolle zu spielen.

Im Sommer 1999 gab es jedoch ein Ereig­nis, das den Schriftsteller für eine Weile aus der Bahn warf, aber auch inspirierte: Bei ei­nem Spaziergang am Strassenrand erfasste der betrunkene Lenker eines Kleinbusses Stephen King, der schwere Verletzungen er­litt. Drei Wochen lang lag er im Krankenhaus, wo er – von Hand, da er nicht an einem Schreibtisch sitzen konnte – seinen Roman «Duddits» schrieb. Nach seiner Genesung kaufte King das Auto, das ihn angefahren hatte, und zerstörte es am Jahrestag seines Unfalls eigenhändig …

Der gewonnene Kampf gegen die Sucht

Als junger Mann hatte Stephen King mit seiner Familie in einem gemieteten Wohnwagen gelebt. Die ärmlichen Verhältnisse hatten ihm zugesetzt. Früh fing er an, zu trinken. Auch Kokain und Aufputschmittel spielten viele Jahre eine Rolle in seiner Sucht. Viele seiner berühmten Romane schrieb der Autor betrunken. Er gesteht: «Ich trank jede Nacht eine Harasse Bier. Was die Arbeit betrifft, funktio­nierte ich. Allerdings erinnere ich mich nicht mehr daran, meinen Roman «Cujo» geschrie­ben zu haben. Es gibt ihn jedoch, und ehrlich gesagt, er gefällt mir.» Es ist möglich, dass er die Sucht von seinem Vater geerbt hat. Erst Jahrzehnte nach dessen Weggang erfuhr er, dass auch Donald Edwin King alkoholkrank gewesen war. Einmal soll Donald mit einem Bein auf dem Bett am Boden gelegen und die Decke angestarrt haben. Seine Söhne fanden ihn. «Ist Daddy tot?», fragte einer der beiden. «Nein, er ist nur betrunken», sagte der andere.

Jahrelang trank Stephen King so viel, dass seine Fans um seine Gesundheit besorgt wa­ren. Seine Sucht spiegelte sich in jener Zeit in mehreren Romanen wider, zum Beispiel in der Figur des Schriftstellers und Alkoholikers Jack in «The Shining». King lebte damals in ei­ner eigenen Welt, zu der seine Frau und seine Kinder keinen Zugang hatten. Verstärkt wur­de seine Sucht durch Erlebnisse wie der Tod seiner Mutter im Jahr 1973. Lange Zeit war sich der Autor seines Problems nicht voll be­wusst oder wollte nicht dagegen kämpfen. Zu sehr befürchtete er, dass er nüchtern keine Romane mehr schreiben könnte, die von Er­folg gekrönt sein würden.

Schliesslich war es seine Frau Tabitha, die Ste­phen King aufrüttelte. Eines Tages fand sie ihn am Schreibtisch; er blutete stark aus der Nase und bemerkte es nicht einmal. Als sie ihn darauf ansprach, erwiderte er schroff: «Lass mich zuerst den Absatz zu Ende schrei­ben.» Das brachte das Fass zum Überlaufen. Seine Frau stellte ihn vor die Wahl: entweder sie oder der Alkohol. Endlich war King bereit, sich in eine Entzugsklinik einweisen zu lassen. Das war 1987. Mit diesem Schritt rettete er seine Ehe. Ein Jahr nach dem Entzug erlitt er einen Rückfall, kam aber wieder auf die Bei­ne. Seither ist er trocken. Noch immer nimmt er mehrmals pro Woche an den Versammlun­gen der Anonymen Alkoholiker teil. Er ist sich der Tatsache bewusst, dass er immer noch süchtig ist, auch wenn er es geschafft hat, keinen Alkohol mehr anzurühren. «Egal, wo ich bin, ich gehe zu den Meetings», sagt er. Auf die Frage, ob er dort als Berühmtheit ei­nen Sonderstatus habe, verneinte King: «Vie­le Leute kennen mich seit über zwanzig Jah­ren. Einige sterben, dann gehe ich zu ihrer Beerdigung. Wenn ich sterbe, werden sie zu meiner kommen.» Diese lapidare, trockene und ehrliche Ausdrucksweise: Sie ist typisch für Stephen King.

 

Der Mythos des trinkenden Genies

Die junge amerikanische Autorin Leslie Jamison hat die Geschichte ihrer eigenen Heilung von der Alkoholsucht aufge­zeichnet. In ihrem Buch «Die Klarheit» räumt sie mit dem Mythos des trinken­den Schriftstellers auf, der den Alkohol poetisch veredelt und damit seiner eige­nen Genesung im Wege steht. Jamison trank, weil sie ihre eigenen Schwächen verbergen und um jeden Preis etwas Besondres sein wollte. Wie Stephen King verdankt sie ihren Weg aus der Sucht den Anonymen Alkoholikern.

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Quelle: Blaues Kreuz 6/2020