Berühmte Personen, die keinen Alkohol trinken: Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama

Er ist das Oberhaupt der Tibeter und in der ganzen westlichen Welt beliebt: Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama. Der 85-Jährige hat viel erlebt – Reisen, Flucht und politische Missionen. Aber eines hat er noch nie getan: Alkohol konsumieren.

Der 14. Dalai Lama wurde am 6. Juli 1935 als Lhamo Döndrub im Dorf Taktser in Nordosttibet geboren. Er war der zweite Sohn einer armen Bauernfamilie. Seine Mutter brachte sechzehn Kinder zur Welt, von denen nur sieben die Kindheit überlebten. Im Alter von zwei Jahren wurde der Junge von Mönchen entdeckt, die den Auftrag hatten, den Nachfolger des 1933 verstorbenen 13. Dalai Lama, das neue tibetische Oberhaupt, zu wählen. Sie hielten Lhamo Döndrub für die Reinkarnation des gestorbenen Herrschers. Bevor sie ihn in der Hauptstadt Lhasa ins Kloster bringen konnten, kauften sie ihn vom Provinzgouverneur frei, was eine beträchtliche Summe Bestechungsgeld und fast zwei Jahre Verhandlungen erforderte. Der kleine Lhamo Döndrub folgte ihnen gern. Später sagte er: «Schon bevor ich erkannt wurde, hatte ich oft zu meiner Mutter gesagt, dass ich nach Lhasa (die Hauptstadt von Tibet) gehen würde. Ich benutzte oft ein Fensterbrett in unserem Haus als Pferd und sagte, ich würde nach Lhasa reiten. Ich war damals noch sehr klein, aber ich kann mich genau daran erinnern. Ich wollte unbedingt nach Lhasa gehen.» Nachdem er dort angekommen war, wurde er 1940 in einer Zeremonie zum neuen Dalai Lama geweiht. Dabei erhielt er seinen Mönchsnamen Jetsün Jampel Ngawang Lobsang Yeshe Tenzin Gyatso, ein Ehrenname, der seine religiöse Würde, sein Bewahren der buddhistischen Glaubenstradition, sein Mitgefühl und seine Weisheit ausdrückt. Ab dem sechsten Lebensjahr erhielt er eine umfassende Ausbildung. Der Lehrplan bestand aus fünf Hauptund fünf Nebenfächern, unter anderem Logik, schöne Künste, Grammatik des Sanskrit, Medizin, Dichtkunst und Astrologie. Den Hauptteil bildete jedoch die buddhistische Philosophie, unter anderem die mönchische Disziplin, Logik und Erkenntnislehre sowie die Vervollkommnung der Weisheit.

Das politische Amt als Gratwanderung

Am 17. November 1950 wurden dem 15-jährigen Dalai Lama sowohl die geistliche wie die weltliche Herrschaft über Tibet übertragen. Wegen der Unterdrückung Tibets durch China, das Tibet im selben Jahr annektierte, begann Tenzin Gyatso sein Regierungsamt unter schwierigen Bedingungen. 1951 unterzeichneten Vertreter der tibetischen Regierung in Peking mit Zustimmung des Dalai Lama und der tibetischen Nationalversammlung das «17-Punkte-Abkommen zur friedlichen Befreiung Tibets», welches Tibet Religionsfreiheit garantierte sowie die Zusicherung, dass das bestehende politische System unverändert bleiben und das Gebiet selbständig politische Reformen durchführen durfte. Von da an beschritt der Dalai Lama einen Mittelweg zwischen einer intakten Beziehung zu Chinas Machthabern und dem Einsatz für eine grössere Autonomie für Tibet. 1958 wurde das sogenannte Vorbereitungskomitee des Autonomen Gebiets Tibet gegründet, dessen Vorsitzender Tenzin Gyatso wurde. Als sich am 10. März 1959 ein Aufstand der Tibeter gegen die chinesische Regierung erhob, musste Tenzin Gyatso aus seiner tibetischen Residenz ins Exil fliehen. Seitdem lebt er in Dharamsala in Nordindien, waltet dort als Oberhaupt der tibetischen Exilregierung und setzt sich für ein autonomes Tibet ein. Er fordert nicht die vollständige Unabhängigkeit Tibets von China, sondern würde einen autonomen Staat nach dem Modell Hongkongs, wie es bis im letzten Jahr existierte, akzeptieren. Der Verzicht auf Unabhängigkeit ist unter den Tibetern allerdings umstritten.

Ein Botschafter des Friedens

Tenzin Gyatsos Bemühung um gewaltlose Lösungen und sein Einsatz für Demokratie und die Achtung der Menschenrechte in Tibet führten zu zahlreichen Engagements. Er bereiste 67 Länder auf allen fünf Kontinenten. Für seinen gewaltfreien Kampf für ein autonomes Tibet wurde ihm 1989 der Friedensnobelpreis verliehen.

Wohin auch immer der 14. Dalai Lama reist, bemüht er sich um die Vermittlung von buddhistischen Werten, unter denen der Frieden einen zentralen Platz einnimmt. Nicht nur in seinen politischen Aktivitäten setzt er sich stets für einen friedfertigen, konstruktiven und mitfühlenden Dialog zwischen den Menschen ein. Zu diesem Zweck unternimmt er Vortragsreisen auf der ganzen Welt und gibt Schriften heraus, in denen er seine religiöse Sichtweise zu verschiedenen Lebensfragen darlegt. Dies bringt ihm international Beachtung und Respekt ein, wie die vielen Auszeichnungen zeigen, die er erhalten hat: insgesamt über 150, darunter Menschenrechtspreise und Ehrendoktorwürden.

Der Dalai Lama sagt von sich selbst: «Meine Philosophie ist die Freundlichkeit.» Es gehe ihm um mehr als nur seinen Beitrag, die Welt zu einem besseren Ort zu machen: «Die Grundlage des Weltfriedens ist das Mitgefühl», sagt er, und: «Der Planet braucht keine erfolgreichen Menschen mehr. Der Planet braucht dringend Friedensstifter, Heiler, Erneuerer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Art.»

Tenzin Gyatso lässt sich aber nicht auf die Rolle eines Friedensstifters reduzieren. Seine Persönlichkeit ist vielschichtig. Er ist bekannt für sein entspanntes, fast kindliches Lachen. Der innere Friede, der ausgestrahlt wird, nährt sich nicht zuletzt aus der Meditation. Der Dalai Lama gibt zu, «mürrisch» zu werden, wenn er vor lauter Arbeit nicht genug Zeit zum Meditieren findet. Geduld sei nicht seine Stärke, sagt er: «Mir reisst ziemlich schnell der Geduldsfaden. Das habe ich von meinem Vater geerbt.» Neben der Meditation entspannt sich der 14. Dalai Lama beim Fernsehen, zum Beispiel von Naturdokumentationen. Auf die Frage nach seinem Lieblingstier sagt er: «Vielleicht Vögel. Friedfertigen Tieren gebe ich oft zu fressen. Ich bin für Gewaltlosigkeit, aber wenn ein Habicht auftaucht, während ich andere Vögel füttere, kann ich mich nicht beherrschen.» Dann greift er zu seinem Sturmgewehr – aber nur, um ihn zu verjagen.

Das Leben als Mönch

Im Jahr 2011 trat Tenzin Gyatso von allen politischen Ämtern zurück. Damit beendete er eine 368 Jahre alte Tradition, wonach der Dalai Lama ein doppeltes Amt als geistliches und weltliches Oberhaupt Tibets innehat. Geistlicher Führer ist er jedoch geblieben. Es scheint, als ob er sich in der Rolle des Geistlichen am wohlsten fühlt. «Ich bin ein einfacher buddhistischer Mönch», sagt er über sich. «Ich habe das Gefühl, dass dies mein wahres Ich ist. Ich denke, die Institution des Dalai Lama als Oberhaupt ist etwas Menschengemachtes. Aber das Mönch-Sein ist etwas, was wirklich zu mir selbst gehört. Keiner kann das ändern. Tief im Inneren fühle ich mich immer als Mönch, auch in meinen Träumen.»

Noch immer unternimmt Tenzin Gyatso Reisen in Indien und im Ausland, um in der buddhistischen Geluk-Tradition zu lehren oder gelegentlich eine religiöse Stätte einzuweihen. Verbringt er den Tag zu Hause, dann folgt er dem typischen Tagesrhythmus eines buddhistischen Mönchs. Der Tag beginnt um drei Uhr morgens und geht bis rund halb acht Uhr abends. Sein Ablauf ist geprägt von langen Phasen der Meditation und der Andacht, unterbrochen von Mahlzeiten, einem täglichen Spaziergang und dem Hören der Nachrichten. Am Nachmittag empfängt Tenzin Gyatso Besuche und gibt Interviews. Was das Essen betrifft, so ernährt sich der 14. Dalai Lama streng vegetarisch; auf Reisen macht er hin und wieder eine Ausnahme. Auf das Abendessen verzichtet er. Dies folgt aus seinem Mönchsgelübde – ebenso wie die Tatsache, dass er keinen Alkohol trinkt. Zwar gilt im Buddhismus das Trinken von Alkohol nicht generell als unheilsame Handlung, sondern nur dann, wenn man versprochen hat, keinen zu trinken. Der Dalai Lama hält sich an Buddha, der einmal gesagt hat: «Diejenigen, die mich ihren Lehrer nennen, sollten nicht einmal die kleine Menge Alkohol trinken, die dem Tautropfen auf der Spitze eines Grashalms entspricht. Wenn sie Alkohol trinken, bin ich nicht ihr Lehrer, und sie sind nicht meine Hörer.»

Ideen, die über den Buddhismus hinausgehen

Neben der buddhistischen Spiritualität bewahrt sich der 14. Dalai Lama auch die Freiheit, Ideen von ausserhalb seiner Religion aufzunehmen. So ist er für sein reges Interesse an Themen der modernen Wissenschaft bekannt. Mit dem nordamerikanischen Rechtsanwalt R. Adam Engle und dem chilenischen Neurobiologen und Philosophen Francisco Varela gründete er 1990 das Mind and Life Institute. Es hat seinen Sitz im Süden der USA und dient als Dialogplattform für Wissenschaftler über die Grenzen von Nationen und Forschungsgebieten hinaus. Tenzin Gyatso ist davon überzeugt, dass Wissenschaft und die Thesen der buddhistischen Lehre miteinander vereinbar sind.

Der 14. Dalai Lama gilt auch als Freund des Christentums. Zur Zeit von Papst Johannes II., mit dem er ein freundschaftliches Verhältnis pflegte, besuchte er öfter den Vatikan. Auch mit dem jetzigen Papst möchte er sich treffen. Der tibetische Führer teilt mit Papst Franziskus zentrale Werte des Christentums: Friedfertigkeit, Achtung vor dem Leben, Versöhnlichkeit und Offenheit für alle Arten von Menschen. Alle wahren Gläubigen hätten, so der Dalai Lama, «eine Botschaft der Liebe».

Quelle: Blaues Kreuz 3/2021