«Ich fühle mich wie eine Blume, die aufblüht»

Melina Dzonlagic hat vor fast drei Jahren eine Ausbildung zur Kauffrau bei uns begonnen. Was gefällt ihr am Blauen Kreuz, was hat sie bei uns gelernt und wie sieht sie ihre persönliche Zukunft?

«Blaues Kreuz»: Woran erinnerst du dich, wenn du an deinen ersten Arbeitstag bei uns denkst?

Melina: Ich machte zunächst eine Schnupperlehre bei euch und erinnere mich an den Geruch im Treppenhaus. Ich wurde vom Team sehr freundlich empfangen. Auf meinem Schreibtisch erwarteten mich eine Grusskarte und Blumen. Es war ein heisser Tag im August, und wir assen gemeinsam im Treffunkt «Azzurro» zu Mittag.

Warum hast du dich beim Blauen Kreuz beworben?

Es war eine spontane Entscheidung. Anfangs suchte ich eine Lehrstelle in einer medizinischsozialen Einrichtung, denn in meinem letzten Schuljahr wählte ich den Schwerpunkt Gesundheit. Ich träumte davon, medizinische Praxisassistentin zu werden. Beim Schnuppern merkte ich aber, dass mich der Bürobetrieb mehr ansprach als das Medizinische. Die erste kaufmännische Schnupperlehre machte ich in einer Fahrschule. Die Informatikmittel und das Administrative sprachen mich an. Deshalb beschloss ich: wenn eine kaufmännische Lehre, dann in einer sozialen Organisation! Ich studierte die Websites des Roten Kreuzes, des Blauen Kreuzes und der Krebsliga. Beim Blauen Kreuz sprachen mich die Alkoholund Drogenproblematik an. In meinem Bekanntenkreis gibt es Leute, die glauben, kein Alkoholproblem zu haben, in Wahrheit aber eins haben …

Wo arbeiten deine Lehrlings-Kolleginnen?

Sie arbeiten zum Beispiel bei der UBS, im Inselspital,bei Loeb oder in Bundesämtern. DieKolleginnen mit Vertiefung Kommunikationund Marketing arbeiten oft bei Zeitungen.

Wie ist deine Familie in die Schweiz gekommen?

Mein Vater arbeitete bereits vor Ausbruch desJugoslawienkriegs 1992 in einem Hotel in Meiringenals Lastwagenfahrer. Davor hatte er inBosnien meine Mutter geheiratet, wo sie 1990ihr erstes Kind bekamen. Als der Krieg ausbrach,unterstützte der schweizerische Hotelbesitzermeinen Vater. Er bot der jungen Familieeine Wohnung bei sich an. Mein Vaterarbeitete weiter als Lastwagenfahrer und meineMutter durfte in der Küche arbeiten. Beidekamen nicht als Flüchtlinge in die Schweiz,sondern als Einwanderer. Sie integrierten sich rasch. Als mein Bruder 1995 zur Welt kam, zogenmeine Eltern nach Schönbühl. Dort eröffnetemein Vater eine Autogarage und meineMutter nahm eine Arbeit als Hauswirtschafterinim Tiefenau-Spital auf. So zog der Krieg vergleichsweiseschadlos an meinen Eltern vorbei.Sie besuchten Bosnien erst wieder 2007.

Was gefällt dir am Blauen Kreuz?

Ich bin dankbar, dass ich mich persönlich weiterentwickelnkann. Ich werde sehr gefördertund lerne viel. Von jedemTeammitglied konnte ichetwas dazulernen, sei esin der Facharbeit, der Administration,der Kommunikation,im Verlag, inden Brockenhäusern undauch beim Internationalen Blauen Kreuz.Meine Arbeit ist sehr abwechslungsreich.Das Arbeitsklima und meine Aufgaben gefallenmir. Ich bin hier angekommen und fühlemich angenommen. Oft merke ich nicht mehr,dass ich die Lehrtochter bin. Ich bin sehr froh,dass ich meine Lehre hier machen kann.

Was hat dich bei uns überrascht?

Mich überraschte der Übergang von derfrüherenVerlagsleiterin zur heutigen. Erstmachte es mir Angst, denn mich hatte diefrühere Verlagsleiterin angestellt, und plötzlichwar sie weg. Dann lernte ich die neueVerlagsleiterin kennen und passte mich an die neue Situation an. Überrascht bin ich auch, wie kurzfristig ich manchmal eine neue Aufgabe erhalte. Jeder Tag bringt Überraschungen – mir ist nie langweilig … Menschlich hat mich überrascht, wie sehr ich mich in so wenigen Jahren persönlich weiterentwickelt habe. Ich holte immer mehr aus mir heraus, wurde selbstsicherer, kommunikativer und offener. Ich fühle mich wie eine Blume, die aufblüht.

Gab es äussere Ereignisse, die dich weitergebracht haben?

Das Wissen eines jedenTeammitglieds hat michbeeindruckt und weitergebracht.Ich schätze dieregelmässigen Gespräche mit meiner BerufsbildnerinMonika Brunner. Ich kann ihr erzählen,wie es mir geht, und fühle mich ernst genommen.Ich erhalte viel und kann selbstetwas geben. Beeindruckt haben mich die Offenheitund die Hilfsbereitschaft im Team, dieLockerheit und Geduld, mit der man mir dieDinge erklärt, sei es im Rechnungswesen, imFranzösisch oder in der Informatik.Ich habmich nie im Stich gelassen gefühlt. Auch derWechsel der Zivildienstleistendengefällt mir.Jeder von ihnen hat eine eigene Persönlichkeit– sie alle bringen mich weiter.

Was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Die Verlags-Vernissage, die ich organisiert habe, war für mich unvergesslich. Beim Internationalen Blauen Kreuz half ich bei der Vorbereitung der Generalversammlung in Südafrika, die dann wegen Covid abgesagt werden musste. In der Kommunikation arbeitete ich selbständig an Projekten. Beim Verlag arbeite ich zurzeit an einem Rezeptbuch für die Blue Cocktail Bar. Ich freue mich jetzt schon auf den Augenblick, in dem ich das Buch in den Händen halten werde.

Was gefällt dir am meisten an der Arbeit?

Die Vielseitigkeit der Aufgaben und die Selbständigkeitbei deren Verrichtung. Beidesbedeutetmir viel.

Was am wenigsten?

E-Mail-Anfragen, die mich überfordern undunfreundliche Leute am Telefon

Haben deine Schulkolleginnen auch schlechte Erfahrungen gemacht?

Es gab welche, die sich gemobbt fühlten oder ausgenutzt wurden. Eine Kollegin musste einen neuen Lehrbetrieb finden, weil der erste gar nicht berechtigt war, Lehrlinge auszubilden. Einzelne brachen ihre Lehre ab. Die meisten, die jetzt noch da sind, sind sehr zufrieden.

Woran aus deiner Lehrzeit wirst du dich am Ende deiner Berufstätigkeit wahrscheinlich am stärksten erinnern?

An die Grundausbildung, die ich erhalten habe.Auf sie baue ich meinen Werdegang auf. Sicherwerde ich mich auch an die Menschen und dieArbeitsatmosphäre erinnern. Ich glaube, ichwerde stolz auf das sein, was ich hier gewordenbin. Manchmal durchfährt es mich, dass ichmehr Zeit bei der Arbeit verbringe als zu Hausebei meiner Familie. Dort spreche ich von derArbeitals von «meiner anderen Familie» …

Wo siehst du dich in 15 Jahren?

Privat möchte ich dannmein erstes oder zweitesKind haben, verheiratetsein und ein bodenständiges Leben führen. Ichmöchte einen Hund haben, den ich von einemTierheim gerettet habe (lacht). Sicher möchteich vorher noch reisen. Nach meiner Lehrewerden mir beruflich viele Türen offenstehen.Mir ist wichtig, dass ich meinen Beruf mitLeidenschaftund Liebe ausführe. Ich möchteweiterhin im sozialen Bereich arbeiten undmit meiner Arbeit etwas Gutes bewirken. Deshalb kann ich mir vorstellen, bis in 15 Jahren ein Studium in Heil- oder Sozialpädagogik abgeschlossen zu haben und danach Kinder zu begleiten, die an einer unheilbaren Krankheit leiden, ihnen Vertrauen zu schenken und in ihnen Liebe aufzubauen. Es ist heute aber zu früh, um mich festzulegen.

Auf welche Arbeitsergebnisse bist du besonders stolz?

Ich bin stolz darauf, eure erste Lehrtochter zusein, und auf die vielen Arbeiten, zu denen ichbeitragen durfte. Vermutlich werde ich auchauf das Rezeptbuch stolz sein, an dem ichzurzeitarbeite.

Was wird dir in deinem späteren Berufsleben als Ergebnis deiner Lehrzeit bei uns wahrscheinlich am meisten nützen?

Das Verantwortungsbewusstsein und dasKommunikative, das ich hier gelernt habe. ImVerlag habe ich viel mit älteren Menschen zutun. Ich habe gelernt, auf sie zuzugehen, Kontaktezu pflegen, Leuten zu helfen und zum gutenTeamgeist beizutragen. Vieles davon werde ich mitnehmen.

Welche deiner Charaktereigenschaften sind deiner Meinung nach für deinen beruflichen Erfolg besonders nützlich?

Meine Teamfähigkeit, meine menschliche Offenheit und meine Freundlichkeit.

Möchtest du deinen Kolleginnen und Kollegen im Team noch etwas mitteilen?

Ich danke jedem Einzelnen im Team für alles, was ich hier lernen durfte. Ich habe alle in mein Herz geschlossen und werde mich an jeden und jede erinnern!

Quelle: Blaues Kreuz 3/2021