Blaues Kreuz: Warum hast du dich als junge Frau für ein Studium der Politikwissenschaft entschieden?
Diana Müller: Es fiel mir schwer, ein Studienfach zu wählen, weil ich viele Interessen hatte. Ich dachte, dass dieses Studium mir viele Möglichkeiten für die spätere Berufswahl eröffnen würde. Auf die Idee gebracht hatten mich Schulausflüge an den internationalen Gerichtshof in Den Haag und an den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Diese internationalen Organisationen beeindruckten mich. Ich war jung und wollte die Welt verbessern (lacht).
Du sprichst Slowakisch und Russisch. Wie kam es dazu?
Meine Eltern stammen beide aus Bratislava in der Slowakei. Sie kamen 1969 nach dem Prager Frühling in die Schweiz. Deshalb wuchs ich zweisprachig auf. Russisch lernte ich am Gymnasium, weil es mit dem Slowakischen verwandt ist und ich dachte, dass es mir später im Beruf nützlich sein könnte.
Wie hat dir dein Studium bei deiner Tätigkeit in der Gesundheitsverwaltung geholfen? Wie hat es dich geprägt?
Ich mag es, mehrere Facetten einer Sache zu analysieren, und denke strukturiert. Wenn man in der Verwaltung arbeitet, ist es hilfreich, die Perspektive zu wechseln und verschiedene Interessen zu erfassen.
-> die Arbeit des Blauen Kreuzes unterstützen
Gibst du uns ein Beispiel?
Die Leitsätze zur Alterspolitik des Kantons Aargau. Ich stellte sie dem Regierungsrat vor und zeigte die Vorteile für verschiedene Gruppen auf, um die Regierung zu überzeugen.
Warum hast du für den Zentralvorstand des Blauen Kreuzes Schweiz kandidiert?
Ich kannte das Blaue Kreuz bereits aus meiner Tätigkeit beim Kanton Aargau, etwa die Testkäufe und «roundabout», und identifiziere mich mit seiner Vision. Die Suchtthematik ist für mich eher neu, reizt mich aber. Mich interessiert in einer Organisation vor allem die strategische Dimension. Ich möchte mich mit meiner Erfahrung einbringen und glaube, dass das Blaue Kreuz grosses Potential hat. Deshalb finde ich es spannend, auf strategischer Ebene mitzugestalten.
Wie schaffst du diese Aufgabe neben deinem Beruf und deinen zwei kleinen Kindern?
Ich sehe sie als Bereicherung, als etwas, das mich auf einer anderen Ebene herausfordert. Ich bin eine glückliche Mutter, die Familie steht für mich im Vordergrund. Gleichzeitig habe ich das Privileg, mich als selbständig Erwerbende beruflich weiterzuentwickeln und verfüge über die Flexibilität, die es dazu braucht. Mein Mann, meine Eltern und meine Schwiegermutter unterstützen mich grossartig!
Was gefällt dir am Blauen Kreuz?
Mich sprechen besonders die Angebote für Jugendliche und der Beitrag zur Stärkung der Persönlichkeit an. Die Jugend ist in der Entwicklung einer Person eine sensible Phase. Ich denke an die Suchtthematik, aber auch die psychische Gesundheit. Bei Letzterer sehe ich Entwicklungspotential. Mir gefällt, dass das Blaue Kreuz eine breite Palette abdeckt, von Gesundheitsförderung und Prävention über die Beratung bis zur Integration, und dass dabei die Stärkung der Persönlichkeit im Vordergrund steht. Diese Breite macht uns einzigartig.
Was sind deiner Meinung nach die grössten Herausforderungen des Blauen Kreuzes?
Die Breite unseres Angebots kann es schwierig machen, uns gegenüber anderen Organisationen zu positionieren. Auch die Struktur ist herausfordernd. Der Dachverband soll eine Bereicherung für die Mitgliedsorganisationen sein. Zusammen entwickeln sie kreative Lösungen und innovative Ansätze und sorgen für einen starken gemeinsamen Auftritt. Dazu braucht es alle. Darüber hinaus sehe ich die Traditionen im Blauen Kreuz als Herausforderung, aber auch als Chance. Dazu gehört die spirituelle Dimension in ihrer ganzen Breite. Spiritualität ist für mich eine Kraftquelle.
Wie hängen für dich Spiritualität und der christliche Glaube zusammen? Was bedeutet dir das Christentum?
Ich bin katholisch aufgewachsen, allerdings nicht streng. Die christlichen Werte – dass man füreinander da ist und andere unterstützt – sind mir wichtig und selbstverständlich. Das Christentum wirkt manchmal vielleicht etwas altbacken und verstaubt. Für mich ist wichtig, es in die heutige Zeit zu übersetzen, es erfahrbar zu machen und seine Werte zu leben.
-> die Arbeit des Blauen Kreuzes unterstützen
Was möchtest du beim Blauen Kreuz erreichen?
Ich wünsche mir, dass das Blaue Kreuz in der Gesellschaft stärker wahrgenommen wird. Voraussetzung dafür ist, dass wir alle am gleichen Strang ziehen. Ich möchte, dass wir auf die sich verändernden Bedürfnisse in der Gesellschaft Antworten geben. Und dass der Dachverband optimal mit den Mitgliedsorganisationen zusammenarbeitet. Daraus soll eine Dynamik entstehen, die uns alle im Sinne unserer gemeinsamen Vision weiterbringt.
Wo siehst du deinen persönlichen Beitrag?
Ich möchte die Geschäftsstelle des Dachverbands unterstützen, zum Beispiel als Gesprächs- und Sparringpartnerin. Ich werde mein persönliches Netzwerk für das Blaue Kreuz nutzen, zum Beispiel meine Kontakte zu Gesundheitsförderung Schweiz oder zum Bundesamt für Gesundheit. Ich sehe mich eher in der Vogelperspektive, als jemand, der zu guten Rahmenbedingungen beiträgt.
Was möchtest du deinen Kindern mitgeben, um deren Widerstandskraft gegen Sucht zu stärken?
Das ist keine einfache Frage. Mir erscheint wichtig, dass sie ihren eigenen Weg gehen können. Ich möchte ihnen Werte vermitteln und sie dennoch nicht in ein Korsett zwingen. Sie brauchen Raum, um sich zu entfalten und zu reifen, aber auch Orientierung und Grenzen. Es finde es jetzt schon nicht leicht, hier die Balance zu finden. Ich möchte meinen Kindern Halt und Selbstvertrauen geben. Und wenn sie älter sind, möchte ich, dass sie sich für das, was sie tun, begeistern. Für mich war das der Sport.
-> die Arbeit des Blauen Kreuzes unterstützen
Wie hängt das mit Sucht zusammen?
Eine starke Persönlichkeit hilft, sich abzugrenzen, etwa gegenüber Gruppendruck. Stark ist jemand auch, wenn er oder sie weiss, was ihm oder ihr guttut. Gerade in schwierigeren Lebensphasen ist es wichtig, Positives zu mobilisieren und Unterstützung anzunehmen. Ein weiteres Thema ist der Umgang mit den eigenen Gefühlen. Kinder lernen heute früh, ihre Emotionen wahrzunehmen und zu benennen. Das ist wichtig für ihre psychische Gesundheit. Bei Suchtmitteln sind die Eltern Vorbilder. Mir selbst sagt Alkohol nicht viel. Er ist aber ein Teil unserer Gesellschaft. Ich möchte einen guten Umgang mit Genussmitteln vorleben, auch wenn mir bewusst ist, dass die Suchtthematik komplex ist und ich aus einer privilegierten Situation heraus antworte.
Welche sportlichen Tugenden möchtest du beim Blauen Kreuz einbringen?
Sich Ziele zu setzen und mit Ausdauer und Geduld auf diese hinzuarbeiten, auch wenn es Schwierigkeiten oder Rückschläge gibt.
Diana Müller
- Jahrgang 1982
- verheiratet, zwei kleine Kinder
- Studienabschlüsse in Politikwissenschaft sowie in Gesundheitsförderung und Prävention
- Hat acht Jahre beim Departement Gesundheit und Soziales Kanton Aargau gearbeitet, unter anderem als Beauftragte für Gesundheitsförderung und Leiterin Fachstelle Alter, und zwei Jahre als Projektleiterin bei der Gesundheitsdirektorenkonferenz. Seit 2019 eine eigene Firma im Bereich Gesundheitsförderung
Quelle: Blaues Kreuz 1/2022
