Hat die Vereinsform im Blauen Kreuz eine Zukunft?

Wie andere Vereine leidet auch das Blaue Kreuz unter einem Rückgang der Mitgliederzahlen. Eine Alternative zur Vereinsform wäre die Stiftung. Es bedarf jedoch besonderer Anstrengungen, damit Stiftungen sich ideell nicht vom Blauen Kreuz entfernen. Vereine, die sich auf eine Mitgliederbasis stützen, sind deshalb auch heute kein Auslaufmodell. Sie brauchen aber neue Ansätze und neue Initiativen, um die Zukunft des Blauen Kreuzes zu sichern.

Von Didier Rochat, Geschäftsführer Blaues Kreuz Schweiz, und Helmut Wiegisser, Geschäftsführer Blaues Kreuz Schaffhausen-Thurgau

Was wäre das Blaues Kreuz ohne seine Mitglieder? Kann unsere Organisation ihre Mission fortsetzen, ohne weiterhin Mitglieder zu rekrutieren? 1930 zählte das Blaue Kreuz schweizweit rund 35'600 Mitglieder. Darunter befanden sich über 19'000 sogenannte «gerettete Trinker», also ehemalige Alkoholkranke, die mithilfe des Blauen Kreuzes trocken geworden waren. Heute zählt unsere Organisation landesweit gerade noch an die 1900 Mitglieder - und es werden von Jahr zu Jahr weniger.

Das Blaue Kreuz hat sich in den letzten Jahren professionalisiert. Die Zahl der Mitarbeitenden ist gestiegen. Mit dem wachsenden Bedarf an externer Finanzierung und der starken Abhängigkeit von staatlichen Leistungsvereinbarungen sind auch die Herausforderungen und Verantwortlichkeiten der Vorstandsmitglieder gestiegen. Dadurch wurden die Mitglieder als freiwillige Helferinnen und Helfer teilweise aus ihren traditionellen Aufgabenbereichen verdrängt. Gleichzeitig ist die Mitgliederbasis geschrumpft, sowohl als Ursache wie auch als Folge dieser Entwicklung.

Sind Stiftungen die Lösung?

Eine besondere Situation beobachten wir in der Region Basel. Hier wurden unter der Marke Blaues Kreuz zwei Stiftungen gegründet: 2002 das Jugendsozialwerk und 2014 die Stiftung Blaues Kreuz beider Basel, die 2018 um die Multikulturelle Suchtberatungsstelle (MUSUB) erweitert wurde. Als Bindeglied unter den insgesamt fünf Basler Blaukreuz-Organisationen wurde eine auf den Werten des Blauen Kreuzes beruhende Förderstiftung gegründet, die aber kein Mitspracherecht in den inneren Angelegenheiten der beiden Stiftungen hat. Dies stellte die Gesamtorganisation vor neue Herausforderungen, da durch die neue Rechtsform der Bezug zur Mitgliederbasis nicht mehr gegeben war.

Das Blaue Kreuz Kinder- und Jugendwerk im Raum Basel hat deshalb die neue Kategorie «Aktivmitglieder» geschaffen. Personen, die sich aktiv in der Organisation engagieren, werden automatisch als Mitglied aufgenommen, verlieren aber ihre entsprechenden Rechte, sobald sie die Organisation verlassen haben. Damit wird zwar eine Verbindung zur Basis hergestellt, nicht aber unbedingt eine langfristige Bindung.

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Auch andere gemeinnützige Organisationen leiden an Mitgliederschwund. Der Wettbewerb zwischen den Angeboten für Freiwilligenarbeit nimmt zu. Doch im Gegensatz zur Entwicklung beim Blauen Kreuz belegen Studien, dass die Zahl der Freiwilligen insgesamt nicht abnimmt. So heisst es im «Freiwilligen-Monitor Schweiz 2020»: «Die Schweiz ist das Land der Vereine. Die hohe Zahl an Freiwilligen in den Vereinen und gemeinnützigen Organisationen erklärt sich auch durch die vielen Mitgliedschaften. Drei Viertel der Schweizer Bevölkerung im Alter ab 15 Jahren sind Mitglied in einem Verein oder einer gemeinnützigen Organisation. 61 Prozent der Bevölkerung machen dort aktiv mit. Am meisten Mitglieder zählen die Sportclubs vor den Spiel-, Hobby- und Freizeitvereinen, den kulturellen Vereinen und den Religionsgemeinschaften, Kirchen und kirchennahen Organisationen. Die Zahl der Freiwilligen bleibt erstaunlich stabil. In den vergangenen zehn Jahren kann weder ein markanter Rückgang noch ein klarer Anstieg von Freiwilligkeit festgestellt werden.»[1]

Herausforderungen

Warum also gelingt es dem Blauen Kreuz heute nicht mehr, neue Mitglieder zu gewinnen? Es gibt dafür vermutlich drei Gründe:

  • Individualisierung. Die Beziehungen zwischen Mitgliedern und Vereinen, die wie das Blaue Kreuz auf traditionelle oder weltanschauliche Grundlagen aufbauen, nehmen tendenziell ab. Die Menschen wählen ihre Mitgliedschaften zunehmend nach Kosten-Nutzen-Erwägungen aus.
  • Alternativen. In den Bereichen Freizeit und Kultur gibt es zahlreiche Alternativen zur Vereinsmitgliedschaft. Sobald eine bestimmte Aktivität zeitlich oder finanziell zu aufwändig wird, ist es einfach, auf eine Alternative auszuweichen.
  • Vereinsinterne Veränderungen. Wenn sich ein Verein verändert, wenn er zum Beispiel wächst oder sich professionalisiert, kann es sein, dass die persönlichen Interessen nach und nach nicht mehr mit den kollektiven Interessen übereinstimmen.

Empfehlungen

Eine strategische Projektgruppe[2] hat sich mit der Zukunft der Vereinsform und der Mitgliedschaft im Blauen Kreuz befasst und ist zu folgenden Schlüssen gekommen: Grundsätzlich soll auch in Zukunft im Blauen Kreuz eine Mitgliederbasis angestrebt werden. Nur so können die Werte, Funktionsweise und Ausstrahlung der Organisation gesichert und Spenderinnen und Spender gewonnen werden. Wenn sich Blaukreuzorganisationen jedoch weiterhin als Vereine organisieren und ihre Mitgliederbasis erhalten wollen, müssen sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Mitglieder überdenken und den Freiwilligen interessante Aufgaben anbieten. Blaukreuzvereine könnten in Zukunft zum Beispiel so aussehen, dass sie in gesellige Veranstaltungen investieren und den Freiwilligen die Möglichkeit geben, im Verein mitzuarbeiten und diesen mitzugestalten. Jugendliche sollten stärker als bisher berücksichtigt werden: Ehemalige und zukünftige Angebotsnutzende und deren Eltern — zum Beispiel Teilnehmende bei roundabout, den Ferienlagern oder auch Personen, die eine Beratung in Anspruch genommen haben — sollte stärker einbezogen und an das Blaue Kreuz gebunden werden. Solche neuen Mitglieder würden neue Lernfelder eröffnen und die Blaukreuzorganisationen könnten durch ihre Ideen bereichert werden.

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Weiter sollten die bestehenden Mitgliederkategorien überdacht werden. Die Trennung in A- und B-Mitglieder, also in Mitglieder mit und ohne Abstinenzverpflichtung, wirkt demotivierend und entspricht nicht mehr den heutigen Bedürfnissen einer offenen Gesellschaft. Umgekehrt sind die Ansätze einer aktiven und einer kollektiven Mitgliedschaft (Unternehmen usw.) weiter zu verfolgen.

Wo bewusst auf die Stiftungsform gesetzt wird, muss zumindest sichergestellt werden, dass die Mitglieder des Stiftungsrates von einer Blaukreuz-Förderstiftung ernannt werden. Zudem ist es unabdingbar, dass diese Organisation Mitglied beim Schweizer Dachverband ist. Nur so kann die schleichende Wegbewegung von Stiftungen aus der Blaukreuzgemeinschaft verhindert werden.

Die strategische Projektgruppe ist sich einig, dass Mitglieder auch in Zukunft erwünscht sind. Nur so kann der Fortbestand des Blauen Kreuzes als nationale und internationale Bewegung gewährleistet werden. Die Umsetzung der Empfehlungen der Projektgruppe erfordert jedoch Zeit, Energie und Willenskraft. Je schneller die hier vorgestellten Empfehlungen umgesetzt werden, desto entspannter kann das Blaue Kreuz in die Zukunft blicken.

[1] Markus Lambrecht, Adrian Fischer und Hanspeter Stamm: Freiwilligen-Monitor Schweiz 2020, Seismo Verlag 2020.

[2] Helmut Wiegisser, Matthias Felder, Roger Stieger, Didier Rochat und Matthias Zeller. Matthias Felder ist Vizepräsident des Blauen Kreuzes Schweiz, die übrigen Autoren sind Geschäftsführer regionaler Blaukreuz-Organisationen bzw. des Blauen Kreuzes Schweiz.

 

Quelle: Blaues Kreuz 5/2022

 

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