Von Jonathan Saber
Die Beziehung zwischen Alkohol und Kreativität hat schon immer Neugier und Fragen hervorgerufen. Viele Kunstschaffende, Schriftstellerinnen und Denker haben dem Alkohol eine wichtige Rolle in ihrem kreativen Prozess zugeschrieben und ihn als Quelle der Inspiration betrachtet. Diese Wahrnehmung schwankt jedoch zwischen Volksglaube und Realität.
Im Laufe der Geschichte hat die Kultur Alkoholkonsum und Kreativität oft miteinander verbunden. Prominente Beispiele dafür sind französische Ikonen wie Charles Baudelaire, Paul Verlaine und Henri de Toulouse-Lautrec. Baudelaire und Verlaine, Mitglieder des «Club des Hachichins», waren dafür bekannt, dass sie mit verschiedenen Substanzen, darunter auch Alkohol, experimentierten, um ihre Kreativität zu steigern. Toulouse-Lautrec hingegen führte ein Bohemien-Leben, das durch den Konsum von Absinth gefärbt war. Es ist jedoch wichtig, sich nicht von der Romantik dieser Anekdoten mitreissen zu lassen und die tatsächlichen Auswirkungen des Alkohols auf die Kreativität zu hinterfragen.
Eine Studie der Universität von Illinois bringt Licht ins Dunkel. Die Ergebnisse zeigten, dass Männer, die Alkohol getrunken hatten, unter bestimmten Bedingungen Rätsel besser und schneller lösten als Männer, die nüchtern waren. Für Professor Richard Wiseman ist diese Beobachtung «interessant» und erscheint logisch.
Er weist jedoch darauf hin, dass eine gute Nachtruhe der Kreativität ebenso zuträglich sein kann. Alkohol kann zwar vorübergehend Hemmungen abbauen und unkonventionelles Denken fördern, es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass diese Vorteile nur vorübergehend sind und dass auf sie negative Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten folgen können.
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Abgesehen von diesen Erkenntnissen ist es unbestreitbar, dass Alkohol ein echtes Gesundheitsrisiko darstellt. Auch wenn einige Kunstschaffende im Alkohol eine vorübergehende Muse gefunden haben mögen, so sind die Suchtgefahr und die organischen Schäden eine Realität, die nicht ignoriert werden kann. Vor diesem Hintergrund muss die Notwendigkeit eines massvollen und verantwortungsbewussten Konsums betont werden. Wir können die Kreativität nähren, ohne unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden zu gefährden.
Die Debatte über Alkohol als Katalysator für Kreativität ist also komplex. Auch wenn einige historische Anekdoten seinen Konsum verherrlichen, ist es wichtig, seine langfristigen Auswirkungen zu hinterfragen und andere Wege zur Förderung unserer Kreativität in Betracht zu ziehen.
Aus: Exister Nr. 31 (August 2023). Übersetzung und Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Croix-Bleue romande.
Quelle: Blaues Kreuz 3/2024