Berühmte Nichttrinker: Naomi Campbell

Sie ist Topmodel, Unternehmerin und Wohltäterin. Als erstes schwarzes Model schaffte sie es 1988 auf die Titelseite der Modezeitschrift «Vogue». Nach ihrer dreissigjährigen Karriere ist Naomi Campbell immer noch aktiv. Sie gilt als zeitlose Schönheit. Und: Seit einigen Jahren verzichtet sie auf den Genuss von Alkohol.

Naomi Elaine Campbell wurde am 22. Mai 1970 in London geboren. Sie ist Tochter der jamaikanischen Tänzerin Valerie Campbell und eines jamaikanisch-chinesischen Vaters, den sie nie kennengelernt hat. In den 1980er Jahren heiratete ihre Mutter den Briten Cliff Blackwood. Aus der Ehe, die nur wenige Jahre hielt, ging Naomi Campbells sechzehn Jahre jüngerer Halbbruder Pierre hervor. Während Campbells Mutter auf Tanztournee war, kümmerten sich ihre Grossmutter und Tanten um sie. Über Naomis Aktivitäten in ihrer Kindheit ist wenig bekannt. Die Schule brach sie vorzeitig ab und besuchte mit vierzehn die Londoner Schauspielschule Italia Conti Academy of Theatre Arts sowie die London Academy of Performing Arts. Ihren ersten öffentlichen Auftritt hatte Naomi Campbell im Alter von acht Jahren: Sie wirkte im Musikvideo von Bob Marleys Song «Is This Love?» mit.

Eine einzigartige Karriere

Die für ihre Mandelaugen, vollen Lippen und ihren amazonenhaften Körper bekannte Campbell wurde im Alter von fünfzehn Jahren von der Chefin der Modelagentur «Synchro Models» entdeckt. Ihre ersten Aufnahmen erschienen in der britischen Ausgabe der Frauenzeitschrift «Elle» und im legendären Pirelli-Kalender. Bald schon stand sie für die Kampagnen grosser Modedesigner wie Gianni Versace, Azzedine Alaïa oder Isaac Mizrahi auf dem Laufsteg. An der Schwelle zur Volljährigkeit schaffte sie es als erstes schwarzes Model auf die Titelseite der Frauenzeitschrift «Vogue». Campbell: «Schon in jungem Alter verstand ich, was es heisst, schwarz zu sein: Man muss doppelt so gut sein.» Campbell hatte den nötigen Ehrgeiz und arbeitete sich zu einem der weltweit bekanntesten Models hoch. Sodann baute sie ihre Aktivitäten aus. Sie posierte für weitere Zeitschriften, darunter auch für erotische wie den «Playboy». Ab den frühen 1990er Jahren arbeitete sie mit den grössten Modefotografen zusammen.

Einer davon, Peter Lindbergh, wurde zum Synonym für die 1990er Jahre mit den Supermodels Naomi Campbell, Christy Turlington, Linda Evangelista, Cindy Crawford, Claudia Schiffer und Kate Moss. Sein Markenzeichen waren Porträts ohne viel Makeup und ohne technische Nachbearbeitung. Ende 2019 wurde Campbell in London mit dem Fashion Icon Award geehrt, dem angesehensten Preis in der Modebranche. Naomi Campbell verfügt über schier grenzenlose Energie: «Mir ist nichts einfach zugefallen, und das wird es wohl auch nie. Ich suche die Herausforderung und stecke die Schläge ein.» Sie arbeitet heute noch als Model. Im vergangenen April, während der Coronakrise, startete sie ihre eigene YouTube-Interviewreihe «No Filter with Naomi». Anlässlich ihres fünfzigsten Geburtstags sagte sie, ihr Alter sei für sie «nur eine Zahl» und kein Grund, ihren Beruf als Model an den Nagel zu hängen. Ein Ende ihrer Karriere ist ebenso wenig in Sicht wie ein Ende ihrer Popularität. 9,1 Millionen Leute folgen Campbell auf Instagram. Was immer sie tut oder sagt, verfolgt die Modepresse noch immer mit grösstem Interesse.

Wohltätiger Einsatz

Im Jahr 1997 erschien ein Bildband mit dem Titel «Naomi». Den Verkaufserlös spendete Campbell der Wohltätigkeitsorganisation «Red Cross Somalia Relief Fund». Im Jahr 2005 gründete sie ihre eigene Organisation «Fashion For Relief» als Antwort auf die verheerenden Schäden durch den Hurrikan Katrina in den USA und zur Bekämpfung der Ebola-Epidemie in Westafrika. So kamen über eine Million Dollar an Spendengeldern zusammen. Sie unterstützt die Unesco und setzt sich für weitere Organisationen wie zum Beispiel den Nelson Mandela Children’s Fund ein. Heute liegt ihr Hauptaugenmerk auf Bildungsprogrammen in Afrika. Campbell: «Der grösste Teil der Bevölkerung dort ist unter dreissig Jahre alt. Diese Leute brauchen Bildung.» Und sie unterstützt junge afrikanische Fotomodelle. Ihr Traum ist, dass die Modebranche zum Ort gleicher Chancen wird und dass dies helfen wird, das Bild und die Wahrnehmung von Afrika zu verändern. Den Anstoss für ihre Wohltätigkeit dürfte Campbells Freundschaft mit dem südafrikanischen Aktivisten und Politiker Nelson Mandela (1918–2013) gegeben haben. Er sei für sie wie ein Grossvater gewesen, sagt Campbell. Mit ihm fühlt sie sich auch nach dessen Tod verbunden. «Als ich noch jünger war, verstand ich nie wirklich, was Herr Mandela zu mir sagte», gibt sie zu, und beteuert: «Aber nun verstehe ich ein bisschen mehr, was er meinte, wenn er sagte: ‹Ich werde für jene sprechen, die nicht für sich selbst sprechen können.›» Genau das hat sich Campbell inzwischen selbst auf die Fahne geschrieben.

Vaterfiguren und Ersatzfamilie

Neben Nelson Mandela gab und gibt es weitere Personen, die Naomi Campbell viel bedeuten. «Meinen wirklichen Vater habe ich nie gekannt, und ich habe die Männer meines Lebens nie mit meinem Vater verwechselt. Trotzdem glaube ich, dass ich in meinem Leben nach Vaterfiguren gesucht habe – und ich fand mehr als nur eine.» Ihre engsten Vertrauten bezeichnet sie gern als ihre «chosen family». Der Star-Haarstylist Oribe Canales zählte bis zu seinem Tod vor knapp zwei Jahren zu Campbells engsten Freunden. Neben dem tunesischen Modeschöpfer Alaïa Azzedine, der sie als Sechzehnjährige entdeckt hatte, bezeichnete sie Canales gern als ihren Wahl-Vater. Über drei Jahrzehnte lang dauerte die Freundschaft. «Wir waren zusammen. Wir sind zusammen aufgewachsen. Wir haben zusammen Ruhm erlangt», sagt Campbell über ihn. Wenn sie eine Freundschaft schliesst, dann hat diese Bestand – das Supermodel ist loyal. Ihre Freunde bestätigen, dass sie stets auf sie und ihre bedingungslose Unterstützung zählen könnten. Eine stabile Beziehung zu einem Mann hat sich für Campbell bis heute nicht ergeben. Sie war zweimal verlobt, aber geheiratet hat sie nie. Es gibt viele Gerüchte und Berichte über ihre Liebschaften mit einigen der wohlhabendsten Geschäftsmänner und berühmtesten Persönlichkeiten der Welt. Die vermutlich längste Beziehung unterhielt sie mit dem Formel-1-Unternehmer Flavio Briatore. Die Frage, ob sie keine Familie gründen wolle, beantwortete Campbell damit, dass sie zuerst eine stabile Beziehung suche, damit ihr Nachwuchs, anders als sie selbst einst, eine stabile Vaterfigur erhalte.

Eine genesene Alkoholikerin

Naomi Campbells Mutter war eine Zeugin Jehovas und erzog ihre Tochter in ihrem Glauben. Laut eigener Aussage hat Naomi durch die anglikanische Kirche zum Glauben gefunden. Zwischenzeitlich beschäftigte sie sich auch mit anderen Praktiken, etwa mit Candomblé, einer afrobrasilianischen Form des Animismus, oder mit den mystischen Schriften des Judentums, der Kabbala. Sie hat sich aber stets als Christin verstanden. Über ihren Glaubensweg sagt sie: «Spirituelles Wirken ist wie das Erklimmen einer Leiter. Um die oberste Stufe zu erreichen, stelle zuerst sicher, dass du fest auf dem Tritt stehst, auf dem du dich gerade befindest, bevor du den nächsten Schritt machst. Bleib aber nicht zu lang zufrieden stehen, sonst verlierst du die Motivation, weiter aufzusteigen, und du wirst deinen Weg nach oben nicht zu Ende führen.» Naomi Campbell ist keine Heilige. Sie wurde mehrmals wegen Körperverletzung verurteilt, etwa 2008 wegen Randalierens am Londoner Flughafen Heathrow (seither wird sie von den Flügen von British Airways gesperrt) oder weil sie einer Assistentin ihr Mobiltelefon an den Kopf geworfen hatte. Auch ihr Alkohol- und Kokainkonsum zeugten von einem unsteten Leben als Supermodel: «Ich danke Gott, dass ich eine genesene Drogenabhängige und Alkoholikerin bin, also eine Überlebende. Ich habe kein makelloses Leben, und ich gebe nicht vor, es zu haben.»

Vor dreissig Jahren trat Campbell den Anonymen Alkoholikern bei. Ab diesem Zeitpunkt kämpfte sie gegen ihre Süchte und schaffte es schliesslich, trocken zu werden und es zu bleiben. «Ich habe aufgehört, Alkohol zu trinken», sagt Campbell, «denn Nichttrinken macht mich viel glücklicher.» Campbell lebt heute abstinent, was zu ihrem Lebensstil gehört wie bewusste Ernährung, Yoga- und Pilatesübungen oder der Genuss von Entspannungsmassagen. Campbell ist dankbar, dass sie heute, im Alter von fünfzig Jahren, noch vollkommen gesund ist. «Wenn man älter wird, verlieren Dinge, die einem mit zwanzig wichtig erschienen, plötzlich an Bedeutung. Als Model ist man es gewohnt, auf Reisen zu sein, und allein der Gedanke daran, sich hinzusetzen und über etwas nachzudenken, macht einen verrückt ... Ich musste herausfinden, was ich wollte und was nicht. Ich bin erwachsen geworden. Ich habe aufgehört, mich selbst zur Erschöpfung zu treiben.»

Quelle: Blaues Kreuz 5/2020